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Leserbriefe

CVP- Leserbrief zur Selbstbestimmungsinitiative

Ich erkenne noch immer – d.h. nach wohl 20 Jahren – im bürgerlichen Lager, insbesondere bei der CVP, eine heftige, negative Konnotation zur SVP. Gerade die CVP müsste diese endlich ablegen, auch wenn ihr der damalige Emporkömmling SVP am meisten Schaden zugefügt hat: Grosse Teile der katholischen Bauernschaft und des Gewerbes haben sie zugunsten der SVP verlassen. Ich selbst war als CVP-Grossstadtrat nicht frei von diesem Muster. Damals wurde die SVP im lokalen Bereich eben auch von Figuren geprägt, die Antipathien förmlich anzogen. Unterdessen hat sich das Personal der SVP, insbesondere in Bundesbern, verändert, Kaderangestellte, Intellektuelle, Banker und Unternehmer finden sich darunter, zum Teil in der rhetorischen Spitzenklasse. Sich vorurteilsfreier als bisher mit der SVP auseinanderzusetzen, täte den übrigen bürgerlichen Parteien gut!
Den Erfolg der SVP nur immer mit Blochers Schatulle zu erklären, ist eine überkommene Leier. Bei der SVP sind einfach viele Knochenarbeiter am Werk (Ueli Maurer war als Parteipräsident einer ihren besten), die unermüdlich in der Fläche wirken, Sektionen gründen, die Organisation perfektionieren, den Internetauftritt besser als andere handhaben, schlicht eine bessere Performance entwickeln. Das Geld von einem wohlhabenden Unternehmer nähmen auch die anderen Parteien liebend gern, aber die ganze Mittelbeschaffungsstrategie der SVP ist insgesamt schlicht besser.
Zur Selbstbestimmungsinitiative (SBI):
1.
Eine gute Frage zu jeder Initiative ist wohl, wie notwendig sie denn ist. Bei der SBI steht für mich nicht die politische Wirksamkeit im Vordergrund, sondern deren Symbolgehalt. Ich denke, bei einer Annahme wird sich in der rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Praxis der Schweiz nicht übermässig viel ändern. Die Folgen für die Vertragstauglichkeit der Schweiz gegenüber Europa werden von den Urhebern vielleicht bagatellisiert, von den Gegnern aber dagegen ins Unwirkliche dramatisiert (“600 Verträge müssten geändert werden.”). Und klar ist: Die Exportwirtschaft möchte von sämtlichen Vorteilen im Personen-, Waren- und Finanzverkehr gegenüber Europa so profitieren, d.h. daran teilhaben, als ob die Schweiz der EU angehören würden. Für sie wirkt die SBI nur lästig.
Aber die Schweiz gehört eben nicht zur EU! Und damit sind wir beim Symbolgehalt der SBI: Die Initiative will diese Abgrenzung gegenüber der politischen EU fanalhaft verdeutlichen. Und das Mittel dazu ist die Losung «Schweizer Recht statt fremde Richter». Niemand, der vernünftig ist, wird behaupten, dass das schweizerische Rechtssystem durch die 1,5 Prozent der Urteile, die erfolgreich nach Strassburg gezogen werden, in seinen Grundfesten erschüttert würde. Aber es ist eben doch eine rote Linie, die überschritten wird, wenn unsere oberste Gerichtsinstanz nicht auch im letzten aller Fälle abschliessend aufgrund der Bundesverfassung urteilen kann.

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Die 1,5 Prozent lassen sich aber auch andersherum lesen: Wenn es denn eine derart marginale Zahl ist, warum ereifern sich die Gegner der SBI darob so sehr an, dass sie die Rechtssicherheit und die Menschenrechte in der Schweiz gefährdet sehen? Für mich sind es vor allem das exportwirtschaftliche Interesse und vermindert die Interessen des Forschungs- und Wissenschaftsaustauschs, welche die Vehemenz erklären. Die Auswirkungen des Primats der Bundesverfassung (mit dem Text einer angenommenen Volksinitiative) auf bestehende und künftige Verträge mit der EU sind tatsächlich nicht in allen Teilen absehbar, und deshalb sind zumindest einige der momentanen Befürchtungen verständlich. Dass in concreta ein JA aber weit weniger Unbill verursachen wird als prognostiziert, darf vermutet werden. Und die SBI verunsichert zusätzlich die Schweizer Diplomatie, die sich gern weltmännisch gibt und im Schulterschluss mit den namhaften Nationen agiert. Im TA vom Samstag, 3. November, ist dazu ein aufschlussreiches Interview mit Ignazio Cassis nachzulesen.
Der zuvorderst von der Schweizer Diplomatie ausgehandelte Migrationspakt ist exemplarisch für die Missverständnisse im Schweizer diplomatischen Corps. Eine Rückbindung der Aktivitäten auf die schweizerischen Gegebenheiten täte hier Not. Auf einer anderen Seite des Spektrums der Gegnerschaft der SBI befinden sich Links-Grüne und die sog. Zivilgesellschaft, welche um die Menschenrechte in der Schweiz fürchten. Dass diese mit der SBI ernsthaft gefährdet wären, halte ich für baren Unsinn.
Kaum ein anderer Staat, dessen Rechtssicherheit höher zu veranschlagen wäre, kein Staat, dessen humanitäre Tradition und Leistungen mehr für die Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft sprächen! Auch eine Sichtung der vom Europäischen Menschenrechtsgerichthof (EGMR) kassierten Urteile bestätigt dieses Bild. Die meisten der kassierten Fälle sehe ich persönlich jenseits jeglicher Menschenrechtsverletzung. So z.B. der Fall Schlumpf: Ein 66jähriger Schweizer entschliesst sich, sein Geschlecht zu wechseln. 2002 beginnt er eine Hormonbehandlung und eine Psychotherapie. Nach einem Jahr unterzieht er sich einer operativen Geschlechtsumwandlung, ohne die Kostengutsprache der Krankenkasse abzuwarten. Die Kasse verweigert ihm diese, da nach geltender Rechtsprechung eine zweijährige Karenzfrist gelte, was auch vom Bundesgericht bestätigt wird. Der EMGR kassierte aber diesen Entscheid unter der Begründung, er verletze EMRK Art. 8 (Recht auf Privatleben) und sei geschlechtsdiskriminierend.
Nein, derart exotische Entscheide wünsche ich mir nicht durch eine EU- “Übergerichtsbarkeit”! Und hier muss anschliessen, was ohnehin zum Thema gehört: Europa und EU. Die EU als Staatenverbund ist vielfältig in der Krise: Ob Griechenlands Finanzwirtschaft langfristig (und zulasten einer starken Senkung des Lebensstandards breiter Schichten!) saniert ist, bleibt offen; in der Frage der Verteilung der Migranten innerhalb der EU ist seit zwei Jahren kein nennenswertes Ergebnis erzielt worden; in Ungarn und Polen reifen autoritäre Regimes heran, welche die Pluralität der Medien und die Unabhängigkeit der Gerichte sowie Menschen-, Volks- und Parlamentsrechte fortlaufend verletzten und einschränken sowie Minoritäten drangsalieren; die EU war nicht in der Lage, einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung des Brexit zu leisten; Italiens überbordendes Budget wird die EU wohl kaum verhindern können; Deutschland rühmt sich seiner wirtschaftlichen Dominanz in Europa, hat aber dafür einen Drittel der Beschäftigten in prekäre Arbeitsverhältnisse versetzt: Mindestlohnbezüger mit 9.19 EU/Std., Harz4-Aufstocker, Leiharbeit, Dauerpraktika, Scheinselbständigkeit und Arbeit auf Abruf; Misswirtschaft und Korruption in der Subventionswirtschaft der EU sind legendär.
3
Die EU befindet sich in einem eigentlichen Krisenmodus, nicht aber die Schweiz inmitten Europas! Klar, das Abseitsstehen hat seinen Preis: Der Verhandlungsaufwand gegenüber der EU ist deutlich grösser, als wenn die Schweiz selbst Mitglied wäre, die Unsicherheit bei Vertragsschlüssen ist etwas höher, da sie massgeschneidert und somit ohne Vorbild und Erfahrungswerte sind, die Zahl der begünstigenden Momente für die Exportwirtschaft ist etwas geringer. Im Wissen um all diese Erschwernisse hat die Schweiz ihren eigenen Weg gewählt. Deshalb ist dieser selbstbestimmte Weg mit dem Primat «Schweizer Recht statt fremde Richter» als letzter Konsequenz folgerichtig.
Alles in allem lege ich ein bewusstes JA zur Selbstbestimmungsinitiative ein,
• weil die Bundesverfassung jedem anderen Rechtsmittel in der Schweiz vorgehen soll, wenn wir unser Selbstverständnis wahren und unsere Selbstachtung nicht preisgeben wollen,
• weil die Schweiz ein völlig intaktes Rechtssystem über drei Stufen pflegt, das abschliessende Entscheide fällen können muss,
• weil die Menschenrechte in der Schweiz über das zwingende Völkerrecht vollständig und ausreichend gewahrt bleiben,
• weil es die Schweizer Exportwirtschaft und die Schweizer Diplomatie zwingt, sich innenpolitischen Erwartungen und Ansprüchen zu stellen,
• weil die Schweiz ein verhandlungserprobter Partner ist, der allfällige Neuverhandlungen einzelner Verträge mit der EU nicht zu fürchten braucht,
• weil es nicht die Schweiz, sondern die EU ist, welche die Durchsetzung von Menschenrechten gegenüber den eigenen Mitgliederländern schuldig bleibt.
Ich wünsche einen wohlüberlegten Entscheid zur Selbstbestimmungsinitiative!
Silvio Bonzanigo
alt Grossstadtrat CVP
alt Kantonaldelegierter CVP Kanton Luzern
bonzanigosilvio@gmail.com
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